Das Neue ist schon da

Die leichtfüssige Vernetzung der Kulturell Kreativen Europas

Jeden Sommer treffen sich auf zahllosen Sommercamps, Jahrestagungen und anderen Grossveranstaltungen kulturell kreative Erdenbürger Mitteleuropas. Roland Schutzbach bewegte sich lächelnd durch einige dieser bunten Veranstaltungen. Es folgen seine Eindrücke, Mitgestaltungen, Visionen und optimistischen Interpretationen.

Es ist zum Lachen: Man könnte sich den ganzen Sommer über, wenn man Zeit hätte, auf solchen Netzwerkveranstaltungen herumtreiben, man würde oft die selben Leute treffen, und man käme, mit vielen neuen Freundschaften bereichert, wieder nach Hause, wenn man ein Zuhause hätte. Das „Come Together“ (Netzwerk deutschsprachiger Gemeinschaften), das HOLON-Jahrestreffen (Holon: ein europäisches ökospirituelles Netzwerk), die Sommercamps der Gemeinschaften „Sieben Linden“, ZEGG und Tamera, die internationale Zusammenkunft des GEN (Global Ecovillage Network), das „Ökodorf-Festival“– all diese und noch weitere Meetings bereichern die kulturell kreative Landschaft. Schon wird gemunkelt, dass in zwei Jahren ein grosses, leichtfüssigesTreffen all dieser Netzwerke an einem Ort stattfinden will. Kurz: Ein wunderbares Angebot für Leute, die Zeit haben und die den Puls der neuen Kräfte spüren und mitgestalten wollen. Was deutlich wird: Diese Treffen ereignen sich in immer größerer Leichtigkeit. Immer weniger muss geplant werden, weil es entweder durch Traditionen gefestigt ist oder weil sich vieles in offenen Prozessen entwickelt.

Ich hatte Gelegenheit, beim HOLON-Jahrestreffen dabeizusein und mitzugestalten. Danach reiste ich zum „Come Together“ in der Nähe von Trier, um dann, in etwas ruhigerem Fahrwasser, als Gast der Gemeinschaft „Sieben Linden“ meine Reise abzuschließen.
 

1. HOLON-Jahrestreffen:

Kurz nach Beginn der Holon-Generalversammlung, einem todernsten Anlass mit Anträgen, Stimmenzählen und anderen Leckerbissen, hüpft ein menschengroßer Frosch zur Tür herein und lässt sich in der Nähe der Versammlungsleiter nieder. Diese interagieren mit ihm, lassen ihn gewähren, unterstützen ihn, wenn er etwa einen der Anwesenden wegen seiner guten Arbeit küsst.
Beim Abschlussfest erscheint eine schräge Figur: Ein abgetakelter Priester, der wegen „Lach-Anfällen während der Predigt“ in die Psychiatrie eingewiesen wurde. Dieser wunderbare Narr schmückt einen total gelangweilt blickenden „Hoffnungsträger des Holon-Netzwerkes“ mit Damen-Unterwäsche, unter dem tosenden Applaus der anwesenden spirituell-ökologisch-politisch-sozial-kreativen Gemeinde.
Am letzten Tag wird ein Bambusglobus, im Verlauf der Woche zusammengesetzt, leichtfüssig über den Vorplatz des Kurshauses St. Arbogast (A) getragen und gedreht, und eine Meditation begleitet dieses schöne Ereignis. (siehe Fotoshow "Jahrestreffen 2001")

 
2. “Come Together“ – die Gemeinschaft der Gemeinschaften

Ein bunter Aussteiger-Haufen sammelt sich an dieser schon seit vielen Jahren stattfindenden Veranstaltung: Mitglieder der christlichen Gemeinschaft „Agnus Dei“, der „Hare Krishnas“, von Für grösseres Bild einmal klickenpolitischen Gemeinschaften, von Splittergruppen, der indischen Gemeinschaft „Auroville“. Toll, dass sich diese Gegensätze so gut vertragen! Wir kommen together auf dem Gelände der Hare Krishnas in „Abentheuer“, in der Nähe von Trier. Die Krishna geben sich alle Mühe, offen zu sein, was ihnen, zumindest in den ersten Tagen, nicht so recht gelingen mag, da sie in der Regel ab 4.15 Uhr am Chanten und Tanzen sind und ihren strengen Tagesablauf nicht vernachlässigen dürfen. Erst als Sacinandana Swami, der spirituelle Meister, am vorletzten Tag angereist kommt und uns durch seine lebendig-spontane Anwesenheit erfreut, geht das gemeinsame Tanzen und Lachen im Tempel los, so dass sozusagen die Konfetti in Krishnas Gegenwart fliegen. Toll ! Die Stimmung steigt ins Ekstatische beim Tanz der modernen Derwische, alle Gegensätzlichkeiten sind vergessen. Für grösseres Bild einmal klicken

Beim Come Together entwickeln wir in der superkreativen Netzwerk-Gruppe auch die Idee der „Vernetzung der Vernetzung“. Ich bin aktiv gestaltend mit dabei, entwerfe ein erstes Papier unter dem Motto der Leichtigkeit. Das Treffen mit etwa 350 Teilnehmern soll in zwei Jahren in absichtsloser Weise stattfinden. Arbeitstitel: CCNet (Cultural Creatives Network). (Siehe Kasten)

Ich habe am nächsten Tag Gelegenheit, mit dem Swami ein schönes und heiteres Gespräch zu führen. Er ist begeistert von der Idee des CCNet-Treffens und wäre sofort dabei.

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Hauptsache aber sind die philosophischen Höhen, die wir in diesem Gespräch erklimmen, mit folgenden Themen:

Ist das Heilige heiter oder ernst ?
Wie geht der Swami damit um, dass man ihn wie Gott verehrt ?
Dass er seinen Schülern verspricht, sie zu Gott zu führen?
Gibt es überhaupt einen Weg zu Gott – oder sind wir nicht vielmehr Gott ?
Ist der Swami glücklich ?
Kann man angesichts der offensichtlichen Tatsache, dass alles gut ist, nicht auf jede religiöse Tradition und Weltanschauung verzichten ?

 

Die Vernetzung der Vernetzung der Kulturell Kreativen

Im Sommer 2003 findet ein leichtfüssiges, großes Vernetzungstreffen der kulturell-kreativen Netzwerke, Gemeinschaften, Organisationen und Einzelpersonen statt. Das Holon-Netzwerk, die Findhorn-Gemeinschaft, das Gemeinschaftsnetzwerk „Come Together“, das GEN (Global Ecovillage Network), das Ökodorf-Institut, die zukunftsorientierten Medien sowie viele andere Gruppen und Einzelpersonen entfalten während einer Woche ihr wunderbares Potenzial.

Das Treffen wird im Geist der Absichtslosigkeit durchgeführt, z.B. nach der Open Space-Methode. Die Vorbereitung hält sich daher in Grenzen und beschränkt sich auf die Festlegung des Ortes und der Zeit und die Bereitstellung einer geeigneten Infrastruktur.

(So wurde im Frühjahr 2001 für die Holon-Sommerwoche geworben.)

3. Besuch im Ökodorf „Sieben Linden“

Sieben Linden liegt in der Altmark, in der Nähe von Salzwedel, ca. 3 Stunden westlich von Berlin. Ich komme bereits zu meinem dritten Besuch, weil die Menschen dort mir vertraut und lieb sind. Gemeinschaften haben mich immer fasziniert; ich habe selbst 17 Jahre in pädagogischen und therapeutischen Gemeinschaften gelebt bzw. gearbeitet und habe meine philosophische Dissertation dem Thema „Gemeinschaft“ gewidmet. So war es für mich letztes Jahr eine Entdeckung, das „Come Together“ in „Sieben Linden“ kennenzulernen und mich mit dieser lebendigen Bewegung zu verbinden.

Hier in Kürze das Wichtigste:

Sieben Linden blüht und gedeiht. Immer mehr Menschen werden angezogen. Zur Zeit leben etwa 40 Erwachsene dort. Neue Gebäude entstehen, unter anderen das erstaunliche „Strohballenhaus“, welches auf jede moderne Technologie verzichtet (Rund-Balken ohne Metallverbindungen, alles Handarbeit).
Die Gemeinschaft versucht, die Tiefen-Ökologie ernst zu nehmen. Es geht also nicht nur um die materielle Umsetzung ökologisch strenger Vereinbarungen, sondern immer mehr und deutlicher um die Realisierung neuer Werte im psycho-sozialen Bereich, im Umgehen miteinander. Neue soziale Formen wie das „Forum“ werden erprobt, ein starker Gemeinschaftsgeist ist spürbar.
Sieben Linden versteht sich auch als gesellschaftliches Modell und will heilend in die Gesellschaft hineinwirken.
Das dortige „Sommercamp“ zieht etwa 80 Menschen an, die sich für gemeinschaftliche Lebensformen interessieren.

Kontaktadresse "Sieben Linden": Wolfram Nolte, Sieben Linden 1,D-38486 Poppau
E-mail: eurotopia.wn@t-online.de

 
Transformierende Prozesse

Beim Ökodorf-Festival, beim Holon-Treffen und beim Come Together erlebte ich intensive transformierend-positive Prozesse in Großgruppen, die im Lauf der Tage zu immer stärkeren „Gruppen-Erhellungen“ führten (s. den detaillierten „Bericht vom Ökodorf-Festival“ unter www.holon/ch/HOHO). Es ist schon fast vorhersagbar, dass solche offen gestalteten Großgruppen – manchmal auch durch schmerzhafte Prozesse hindurch – am Schluss eine hohe, reine Energie des Verbundenseins miteinander erleben. Das ist ermutigend und bereichernd. Ich bin überzeugt, dass wir dieses positive Energiefeld auch in noch größeren Gruppen erzeugen können, und könnte mir daher vorstellen, dass CCNet ein Erfolg und Meilenstein wird.

Als ehemaliger Waldorflehrer stelle ich bedauernd fest, dass Anthroposophen bei solchen Zusammenkünften äußerst selten anzutreffen sind. Sie scheinen noch in alter Weise unvermischbar zu sein mit anderen Strömungen – hoffentlich nicht katholischer als die katholische Kirche...

Epilog

Heimreise in die Schweiz von Sieben Linden am 22.7.2001, einen Tag nach der Berliner Love-Parade. Der Zug von Oebisfelde nach Braunschweig ist total überfüllt, ich kann mich nur aufgrund meiner humoristisch-unschuldigen Freundlichkeit noch hineinquetschen. Ab Wolfsburg gibt’s dann einen Sitzplatz. Ich finde mich unter etwas traurigen Heimkehrern von der Love-Parade. Das bunte Outfit kann über Hoffnungslosigkeiten nur schlecht hinwegtäuschen. Klar, dass keine Regeln gelten: Im Nichtraucher-Abteil wird geraucht und gekifft, die Bergschuhe kommen auf die alten Polstersitze, die Kippen und allerhand Unrat liegen am Boden, und überhaupt ist alles Scheiße.

Hinter mir bedient eine hübsche junge Dame im langen Kleid eine Plastik-Wasserpfeife und gibt sie in die Runde. Sehnsucht nach Glück, das sich nicht einstellen will. „Pflatsch, da sind wir in eurer beschissenen Gesellschaft ! Sorgt gefälligst dafür, dass es uns gut geht, und lasst uns in Ruhe mit euren Regeln !“

Da sind die Kulturell Kreativen gefordert!

 

Dr. Roland Schutzbach, Lachmeister, Philosoph und freier Journalist. Über seinen Spass:

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